Post-bürgerliches Endspiel im hybriden Cyber-Space

Regisseur Stefan Pucher und der Autor Dietmar Dath führen mit ihrer Überschreibung von Maxim Gorkis „Sommergäste“ auf eine irrwitzige Geisterbahnfahrt durch eine groteske Welt, die erfasst vom Virtuellen den Bezug zur eigentlichen Realität verliert.

Nichts ist so, wie es scheint oder sein sollte. Das fängt schon Setting (Bühne: Stéphane Laimé) an. Vorgegeben ist ein „Digital Detox“ unter Freunden in Davos im Schatten des Weltwirtschaftsforums. Aber im Hintergrund ragt das Matterhorn empor, das vom Gastgeber wiederum als Pilatus vorgestellt wird. Spielt ja eine untergeordnete Rolle. Den Gästen des kriminell-durchtriebenen Advokaten Bassow ist es egal. Für sie ist die Schweiz eh nur „eine Abkürzung für schwer zu heizen“, wie der Gastgeber witzelt.

Das ist ein Flachwitz fürwahr, denn ein wirklich witziger Typ ist dieser Bassow (Jan Bluthardt als durchtrieben schmieriger Gewinnler-Typ) nicht. Er ist mitverantwortlich für irgend eine Cyber-Katastrophe in Birmingham, wie zu erfahren ist. Und er redet sich aus der Verantwortung heraus: „KI ist die Abkürzung für Künftige Insolvenz“, sagt er.

Was in diesem Setting folgt ist eine wilde Achterbahnfahrt durch eine Welt, in der, wie bereits erwähnt, nichts so ist, wie es scheint. Die Überschreibung gibt vor, sich an Gorkis dramatischen Abgesang auf das intellektuelle Bürgertum zu halten. Wo viel geredet, aber kaum etwas bewegt wird – wenn man von den oberflächlichen Liebeleien absieht, für die es aber in der Basler Bearbeitung keinen Platz mehr gibt.

Abklatsch der bürgerlichen Intelligenzija

Hier ist ein Personal versammelt, das sich - eingekleidet wie zur Entstehungszeit von Girkis Stück Anfang des 20. Jahrhunderts (Kostüme: Annabelle Witt) – als Abklatsch der bürgerlichen Intelligenzija im Clinch mit der Künstlichen Intelligenz befindet. Diese schaltet sich mit zwei live generierten, grotesk verfremdeten Avataren (Lukas Magnus Paulsteiner und Ursula Dolički) immer wieder mehr oder weniger folgenlos ins Geschehen ein. Auf der Veranda vor der Bergkulisse tummeln sich neben Gastgeber Bassow ein abgehalfteter Arzt und Pillenverschreinber (Martin Hug), seine psychologisierende Gattin (Miriam Maertens), Bassows dauerstänkernder Bruder (Fabian Dämmich), ein amerikanischer Gast (Julian Anatol Schneider), der sich mit einem virtuellen Gewehr ins eigene Bein schiesst, die hinterlistige, bereits halb in den virtuellen Raum entschwundene Programmiererin (Carina Braunschmidt) und Bassows Gattin Warwara (Annike Meier), die sich als einzige gegen die Vereinnahmung durch den Cyber-Space wehrt.

Dieses Personengruppe wird komplettiert durch eine hinreissend aufgedonnerte Rapperin (Vera Flück), die dem Hip-Hop den Rücken zu kehren vorgibt, dann aber zum famosen Rap-Act ansetzt. Und durch das herrliche Faktotum Strubbel (ein grandioser Ueli Jäggi), der als Sicherheitsbeauftragter sowie ganz und gar unintellektueller Gegenpol zur Intelligenzija wunderbar verschrobene, wie schrullenhafte Lebensweisheiten wirkende Bemerkungen zum Geschehen von sich gibt.

Die Inszenierung von Stefan Pucher zappt das Geschehen, garniert mit kapitalismuskritischen Diskursen im wilden Rhythmus vom realen in den virtuellen Kosmos hin und zurück. Auf der Bühne entfaltet sich ein multimediales Zaubertheater, das sich spielerisch unverkrampft von digitalen Sphären mit Live-Videoübertragungen immer wieder zu konzentrierten Szenen des guten alten analogen Konversationstheater besinnt.

Dieses ständige Hin und Her macht es den Zuschauerinnen und Zuscheuern nicht nur leicht, am inhaltlichen Geschehen dranzubleiben. Als Gesamterlebnis bereitet der mit fast zweieinhalb Stunden etwas lange Theaterabend aber viel Spass. Das liegt zum einen am wunderbar beherzt auftretetenden Ensemble, aber auch am virtuosen Wechselspiel zwischen den analogen und virtuellen Auftritten.

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