Monteverdis musikalisches Intrigenspiel ins faschistische Italien versetzt

Christoph Marthaler beschreitet am Theater Basel einmal mehr ungewöhnliche Pfade. In seiner Inszenierung der Barockoper „L’Incoronazione die Poppea“ versetzt er die Handlung vom antiken Rom ins faschistische Italien. Am Sonntag war Premiere.

Christoph Marthaler ist der hinterlistige Schelm unter den Theatermachern. Wenn er Opern inszeniert, kann es passieren, dass das Orchester nach einem Drittel des Abends aus dem Graben verschwindet und nicht mehr auftaucht, wie es 2010 bei Jacques Offenbachs „La Grande-Duchesse de Gérolstein“ der Fall war. Oder dass das Orchester wie bei Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ 2022 den berühmten Jägerchor ohne Instrumente in Bierhumpen hinein nuschelt.

Stets spielt der Raum, also das Bühnenbild, eine tragende Rolle. Der mächtige, sachliche Raum der aktuellen Produktion erinnert an das offene Foyer eines Amts aus den 1940er-Jahren. Tatsächlich ist es ein Nachbau der „Casa del Fascio“ in Como, dem Faschistenhaus, das Marthalers Leib-Bühnenbildnerin Anna Viebrock minutiös kopiert und diagonal auf die Grosse Bühne des Theater Basel gestellt hat.

Es ist vier Tage vor Premiere, eine öffentliche Durchlaufprobe mit Orchester findet statt. Es ist ein kleines Orchester, das aus dem untiefen Graben heraus einen krassen Kontrast zur Bühne und zu den Figuren darauf abgibt. Denn die Musikerinnen und Musiker des Barockorchesters La Cetra unter der Leitung des britischen Barockspezialisten Laurence Cummings spielen auf historischen Instrumenten.

Der Erfinder der Gattung Oper

Diese stammen aus der Zeit um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, als Claudio Monteverdi die Gattung Oper erfand. Mit „L’incoronazone di Poppea“ schuf er 1642 als 75-Jähriger ein strubes musikalisches Intrigenspiel, das als eines der innovativsten Werke des Komponisten gilt und wegweisend war für die weitere Entwicklung der Oper.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Poppea, die Mätresse des römischen Tyrannen Nero, will an die Macht, was sie dank vielen bösen (und todbringenden) Intrigen schliesslich auch schafft.

„Leichen pflastern ihren Weg“, sagt Hausdramaturg Roman Reeger. Und Marthalers enger dramaturgischer Mitarbeiter Malte Ubenauf spricht von einer „allumfassenden Erzählung von Unterwanderungen“. Jede Figur will die anderen aus dem Weg räumen. Das muss Marthaler als Chronisten der menschlichen Unzulänglichkeiten gefallen haben.

Marthaler selber ist während der Probe nicht zu sprechen. Konzentriert folgt er dem Geschehen auf der Bühne, schiesst Fotos mit seinem Handy, tauscht sich mit Bühnenbildnerin Viebrock aus.

Also erläutert weiter Ubenauf, wohin die Recherche zum Regiekonzept geführt hat: zur real existierenden Schule der Diktatoren oder „School of the Americas“, an der die USA lateinamerikanische Umstürzler auf ihre Einsätze vorbereitete. Räumlich verpflanzt wurde diese in die „Casa del Fascio“, die mit der dazu erfundenen Figur der Edda eine ideologische Fürsprecherin erhält.

Keine auffälligen Gags

Überraschend an der Bühnenprobe ist nun aber, dass die grossen Überraschungen ausbleiben. Die wundervolle Barockmusik darf wundervoll bleiben, zumal sie von überaus versierten Interpretinnen und Interpreten dargebracht wird – unter anderem von der berühmten schwedischen Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter.

„Lustig wird es nicht“, sagt Dramaturg Ubenauf. Es sind die Hintergrunddetails, die auf Marthalers Handschrift hindeuten. Während Poppea Nero verführt, werden Gefangene auf der Galerie in Handschellen abgeführt, werden in Wolldecken eingewickelte Leichen über den Boden zum Ausgang geschleift.

Diese Diskrepanz von einlullender Barockmusik und der Brutalität des inhaltlichen Geschehens musste Marthaler gar nicht dazu erfinden. Sie ist inhaltliches Prinzip der Oper. So gönnt Monteverdi dem menschenverachtenden Paar Nero und Poppea am Schluss seines Werkes eines der schönsten Liebesduette der gesamten Opernliteratur.

Der Text wurde für die Nachrichtenagetur Keystone-SDA verfasst.

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