Der Autor ist anwesend

Antú Romero Nunes schmettert die „Dreigroschenoper“ als grotesk-komisches Fest des Brechtschen Verfremdungseffekts auf die Bühne des Theater Basel und kann sich dabei auf ein famos aufspielendes Ensemble und eine grandioses Orchester verlassen.

Warum die Bettler- und Ganoven-Revue „Dreigroschenoper“? „In einer Stadt, in der es ein Bettlerverbot gibt, muss man dieses Stück spielen“, sagt Regisseur Nunes in einem Interview im Programmheft. Und wenn man das Theater nach weit über drei Stunden wieder verlässt, sieht man unter dem Vordach beim Theatereingang die Schlafsäcke von Obdachlosen, die dort mit Einwilligung des Theaters nächtigen.

So viel zur aktuellen Moral der Geschichte. Die „Dreigroschenoper“ von Nunes hütet sich aber voll und ganz vor irgend einem Aktualisierungsversuch. Vielleicht, weil Brechts Texte die Zeit eh überdauert haben. Das musste auch die Inszenierung, die erstmals vor achtienhalb Jahren mit vielen der jetzt wieder anwesenden Schauspielern (die Frauen sind allesamt neu) wieder aufgeführt wird. Gereift im Alter, wie Nunes sagt.

Auf der leeren grossen Bühne des Stadttheaters – der Oper, wie wiederholt gesagt wird – steht Bertolt Brecht. Also ein Schauspieler (Jörg Pohl), der mit Hornbrille, Zigarre, Schiebermütze und einer blauen Arbeiterkluft den Brecht gibt. Alle Schauspielerinnen und Schauspieler auf der Bühne tragen diese Kluft, schlüpfen unvermittelt hin und wieder in die Rolle von Brecht, der Brecht erklärt.

Also in die Rolle des Autoren und Theatertheoretikers. Pohl führt also als Brecht (später wird er in die Rolle des Bettlerkönigs Peachum schlüpfen) das Publikum in die Gefilde des Verfremdungseffekts ein, mahnt, dass ein Zuschauer ohne Vorstellungskraft bei dieser Veranstaltung gleich nach Hause gehen könne, ermahnt die jungen Zuschauerinnen und Zuschauer zu besonderer Aufmerksamkeit, weil dieses Theater zum Thema einer Maturarbeit kommen könnte. Und er staucht Mitspieler zusammen, um sie vom psychologisierenden Spiel auf die Schiene des epischen Theaters zu bringen, um dann unvermittelt selber von einem neuen Brecht zusammengestaucht zu werden.

Fest des Verfremdungseffekts

So geht es weiter über drei und eine Viertelstunde. Nunes inszeniert die „Dreigroschenoper“ als ein Fest des Verfremdungseffekts – ironisierend, rasend komisch, aber auch mit seriösem Ernst. Und er kann sich dabei auf ein hervorragendes Ensemble verlassen, das voll mitmacht: als Mackie Messer (Sven Schelker), als Ehepaar Peachum (Jörg Pohl und Barbara Colceriu), als Polly Peachum (Aenne Schwarz), als Lucie Brown (Cécilia Roumi), Spelunken-Jenny (Elmira Bahrami), als Polizeichef Brown (Thomas Niehaus) und als Bettler Filch (Paul Schröder).

Es ist ein Ensemble, das sich bei den abstrusesten Regieeinfällen zu spielerischen Höhepunkten aufzuschwingen vermag, etwa beim Kampf von Mackie Messer mit einem Polizisten, der als rasend-komische Karate-Kid-Nummer mit pseudo-japanischen Kommentaren daherkommt. Oder bei der inhaltlich schwer nachvollziehbaren Flucht von Mackie Messer aus dem Gefängnis, die zweimal mit grosser Liebe zum Detail wiederholt wird, was aber nichts bringt für das Verständnis, wie der Schauspieler Niehaus, aucn seiner Rolle als Polizeichef heraustretend, bemerkt: „Das Publikum ist ratlos“, bemerkt er. Alle trügen die selben Kleider, Männer wie Frauen. Die Bühne bleibe ausser ein paar Leuchtstoffröhren leer. „Alles muss man sich vorstellen, nur die Zigarren, die müssen natürlich echt sein.“

Liebevolle, urkomische Hommage an Brecht

Nunes‘ „Dreigroschenoper“ könnte man als bösartige Brecht-Verspottung abtun. In Wirklichkeit ist es aber eine liebevoll-urkomische Hommage an den Autoren. Das zeigt sich speziell in der Musik, die als Konterpart zum Théârte pauvre très riche daherkommt: Die berühmten Songs zur Musik von Kurt Weill entfalten, wunderbar gesungen von den Protagonistinnen und gespielt vom grandiosen achtköpfigen Orchester im Hintergrund, ihre volle unsterbliche Wirkungskraft (auch wenn Regisseur Nunes gemeinerweise den Gassenhauer „Seräuber-Jenny“ ganz weglässt und den Haifisch-Song nur antippt). Und dann dieser von Brecht entworfene herrlich kitschige Schluss (Details will ich hier nicht verraten).

Die Moral von der Geschichte? Schwer zu sagen. Aber auch Brecht selber wollte mit seinem Theater nicht nur aufklären, sondern auch unterhalten. Und das gelingt auf der Grossen Bühne des Theater Basel hervorragend. Diese „Dreigroschenoper“ ist ein Theaterereignis, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Das Premierenpublikum war nach über drei Stunden Spieldauer nicht zu müde, das grandiose Ensemble und ihren Regisseur mit einem frenetischen Applaus zu feiern.

Ein Gedanke zu “Der Autor ist anwesend

  1. Der Autor dieser kolumnarischen Rezension war auch mehr als nur anwesend, gestern im Theater. Das spürt man der Verve seines Texstes an. Ich sass zwei Reihen hinter ihm. Theater braucht Kritik, unbedingt, die nicht auf Geschmack und Subjektivität basiert, sondern auf eine präzise Schilderung und Kommentierung des Geschehens auf der Bühne referiert. Kritik und Theater gehören zusammen, damit das Erlebnis auf der Bühne funktioniert. Fazit: Ein Glücksfall, diese Stadtschreiberei über den Brecht aller Brechte, hart am V-Effekt total vorbeischrammend. NU

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