Horrortrip durch die Hölle der putzigen Mittelstands-Welt

Regisseurin Sahar Raimi serviert die Uraufführung des Stücks „Milf“ der Hausautorin Anne Haug als überkandidelter Reminiszenz-Reigen an Horrorfilm-Klassiker.

Die drei püppchenhaften Mädchen beherrschen die Ballettposen perfekt. Und wenn die Arme mal einen Zentimeter zu wenig weit oben sind, wenn das Lächeln zu erlischen droht, ist sogleich die Mutter zur Stelle, die dem Publikum das Lebendbild ihrer drei hochputzigen Töchterchen auf laszive Art feilbietet wie Sexpüppchen in einem Erotikshop. Es geht um Krönchen und Preise, die sie früher selber, angetrieben von ihrer Mutter, gesammelt hatte. Begleitet wird diese Szenerie durch die Musikerin Franziska Ameli Schuster, die sich im Verlauf des Abends als Sängerin und Multiinstrumentalistin fantastisch durch einen vielfältigen Musikkosmos bewegt.

Natürlich gibt es von Beginn weg keinerlei Zweifel, dass es unter dieser allzu putzigen Oberfläche gefährlich brodelt. Regisseurin Sahar Raimi richtet dabei nicht mit dem Seziermesser, sondern mit dem Zweihänder an. „Milf“ wird als Horror-Posse serviert, die sich genüsslich bei Gänsehaut-Klassikern oder Splatter-Movies wie Stanley Kubricks „Shining“ oder „Child’s Play“ von Tom Holland bedient. Dabei darf hin und wieder auch ganz gehörig Blut fliessen, etwa wenn die Mutter (Marie Löcker) eine der drei Grusel-Avatare der Töchterchen aus Fleisch und Blut ausweidet, und genüsslich die herausgerissenen Organe ableckt.

Ob die Autorin Anne Haug ihr Stück so sehr als Horrorstory angelegt hat, bleibt ungewiss. Die Geschichte, die der Text erzählt, rechnet aber heftig mit der heilen Mittelstands-Welt ab. Das Eherpaar Tamara und Dominik (Edgar Eckert) erhält nach 22 Jahren Besuch von Kat (Yevgenia Korolov), die durch ihr Erscheinen – unter anderem als Kindergeburtstags-Clown – das scheinbar heile Gefüge zusammenbrechen lässt. Kat und Tamara waren einst nämlich das grosse Liebespaar, bis sich Tamara für den gesellschaftlich akzeptierten Weg der Ehefrau und Mutter entschied. Sie wird aber rückfällig, was eine Überwachungskamera festhält, was wiederum den Ehemann vollkommen aus seiner traditionellen Männerrolle fallen lässt.

Die Inszenierung geht dabei bewusst an die Grenzen des Erträglichen (für Manche ab und zu wohl auch darüber hinaus). Sie fasziniert aber auch durch eine stringente formale und ästhetische Linie, die sich durch den ezwas über eine Stunde kurzen Abend zieht. Regisseurin Raimi konnte sich auch auf ein wunderbares Team auf und hinter der Bühne verlassen. Evi Bauer hat ein Bühnenbild und Kostüme entworfen, die als ästhetische Horrorvorstellungen mit der grausigen Geschichte wetteifern. Und nicht zuletzt begeistern die Darstellerinnen und Darsteller auf der Bühne, die sich voll und ganz auf das Spiel einlassen – das gilt in besonderem Masse auch für die drei Mädchen und die Live-Musikerin.

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