Mit Handke und Schorsch Kamerun auf Irrwegen bis in den Schwanensee

Schorsch Kamerun führt mit «Spuren der Verirrten» nach Peter Handke durch ein geheimnisvoll hybrides und reizvoll verwirrendes Theater-Gesamtkunstwerk.
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Thomas Seel, alias Schorsch Kamerun, singt Handke. (Theater Basel/Kim Culetto)

«Hallo, ich heisse Thomas Seel», begrüsst der hagere Mann die Zuschauer, «ich habe heute Abenddienst.» Und wie er das hat. Thomas Seel ist besser bekannt unter seinem Künstlernamen Schorsch Kamerun, Mitgründer und Sänger der Hamburger Punk-Band Die Goldenen Zitronen, Barbetreiber sowie als Performer und Regisseur Dauergast an vielen Staats- und Stadttheatern.

Für das Theater Basel hat er sich an Peter Handkes Stück «Spuren der Verirrten» gemacht. Aber von einem Stück zu sprechen, ist ein bisschen viel gesagt. Eine Handlung gibt es nicht, einigermassen definierten Figuren ebenfalls nicht. Es ist vielmehr eine Art postdramatischer Kommentar zum szenisches Stellungsspiel «Die Stunde da wir nichts voneinander wussten», in dem sich Handke auf Szenenanweisungen beschränkte.

Begehbare Installation

Nun ist Schorsch Kamerun auch nicht der Mensch, der klare literarische Stränge knüpft. Als «begehbare Installation von und mit Schorsch Kamerun und ganz vielen Laien und anderen Profis nach Peter Handke», kündigt das Theater Basel den Abend an. Er findet im grossen Foyer statt. Sitze gibt es nicht. Die Zuschauer oder Szenengänger werden aufgefordert immer in Bewegung zu bleiben. Und zwischendurch auch mal an einem Drink mit Namen «Orientierungslosigkeit» zu nippen – mit Absynthe.

«Orientierungslosigkeit» könnte auch als Motto des Abends gelten, der einem wenig bis gar keine inhaltlich nachvollziehbare Andockungspunkte bietet. Das klingt, wenn man es so schreibt oder liest vielleicht nicht gerade sehr reizvoll.

Endlostanz der kleinen Schwäne
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Tanz der kleinen Schwäne. (Theater Basel/Tim Culetto)

Das stimmt aber nicht. Der Abend ist ausgesprochen reizvoll. Schorsch Kamerun ist als Handke singender Conférencier schlicht eine Wucht, die Band mit Pianist, Cellistin, Klarinettist und Schlagzeuger virtuos, die vier Schauspieler – wie in Basel gewohnt – einfach gut, die Opernsängerin divenhaft bestechend, die vielen ständig herumirrenden oder -prozessierenden Laien aus der Hochschule für Gestaltung und Kunst der FHNW reizvoll skurril …

… und dann noch die Eleven der Ballettschule des Theater Basel. Plötzlich beginnen sie in ganz und gar klassischer und ernsthafter Weise in einer Fast-Endlosschlaufe zum so oft parodierten Tanz der jungen Schwäne aus «Schwanensee» ansetzen, bis sie gemeinsam in einen kleinen Rund-Pool hüpfen (Choreografie: Sol Bilbao Lucuix). Kurz zuvor waren Texte zu hören wie: «Es wird bald wieder Krieg geben, dieser Friede ist verfault.»

Reizvolle Irrwege

Hat das einen zusammenhängenden Sinn? Die Texte suggerieren Tiefgang, die Szenerie torpediert das Ganze aber durch skurrile Wirrheiten. Aber muss man wirklich immer alles begreifen, mit was Kunst uns konfrontiert? Der grosse Dramatiker Heiner Müller (1929 –1965) sagte einmal:

«Die dümmste Haltung ist ja überhaupt, wenn man was verstehen will. Kein Publikum der Welt versteht ein Stück von Shakespeare im Theater. Ums Verstehen gehts ja gar nicht. Es geht ja darum, dass man was erfährt, oder was erlebt. Und hinterher versteht man vielleicht was.»

Es geht im Theater letztlich auch darum, unterhalten zu werden. Und das wird man bei den «Spuren der Verirrten», die einen auf verwirrende Wege führt, die letztlich aber einen wunderbaren Reiz haben. Also hingehen und sich in die Irre führen lassen.

Theater Basel: «Spuren der Verirrten» von Schorsch Kamerun nach Peter Handke. Die nächsten Vorstellungen am 9., 13., 14. und 20. November.

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