Nun folgte also „Siegfried“, der dritte Teil oder „zweite Tag“ von Richard Wagners monströsem Bühnenfestspiel „Der Ring des Nibelungen“. Das Monströse hat Regisseur und Theaterdirektor Benedikt von Peter mit einer fast omnipräsenten Parade von riesigen Puppen wörtlich genommen. Was ganz unterhaltsam ist, aber die stimmigen Grundidee der brutalen Familienaufstellung etwas in den Hintergrund treten lässt.

Sprechende Vögel und Drachen, böse Zwerge, ein verwandelter Riese, ein Feuerring und überhaupt eine ziemlich strube Handlung: Richard Wagner machte es Regisseuren der vierstündigen Oper (ohne Pausen) nicht gerade einfach. Benedikt von Peter geht beim schauerlichen Märchen aufs Ganze, setzt noch eins drauf und lässt die Puppen tanzen respektive schleichen.
Nicht nur den Drachen, ohne den es kaum geht, muss er sich doch in einer Schlüsselszene vom Helden Siegfried besiegen lassen. Auch das Waldvögelein (Álfheiður Erla Guðmundsdóttir mit einem fröhlich zwitschernen Sogran), das Siegfried den Weg weist, tritt in absurd übermenschlicher Grösse auf – eine visuelle Erscheinung, die eher an ein nettes Kindermärchen erinnert. Und die wachsende Anzahl an Opfern, die in Göttervater Wotans bösem Spiel in den vergangene zwei Abenden und aktuell bei „Siegfried“ auf der Strecke geblieben sind oder bleiben, tauchen auf: der Riese Fasolt, die Rheintöchter, Siegfrieds Eltern in Wolfsgestalt, die Kröte, in die der Rheingold-Dieb Alberich eigentlich verwandelt worden war, und aktuell der getötete Drache. Immer wieder schleichen sie sich aus dem Hintergrund der durchgehend diffus ausgeleuchteten Bühne (Natasha von Steiger) nach vorne, während sich die eigentliche Handlung zumeist an der Rampe über dem unter den Boden verbannten Orchester abspielt.
Märchenhaftes Machtspiel
Das unterstreicht den Märchencharakter und ist nicht ohne Reiz, auch wenn es mit der Zeit gar etwas viel szenisches Beigemüse ist. Denn letztlich sorgen die eigentlich wunderbar herausgearbeiteten Puppen (und der Respekt einfössende ausdauernde Einsatz der Puppenspielerinnen und -spieler) zur Verharmlosung und Verniedlichung des bösen und in den vorauszusehenden Abgrund mündenden Machtspiels in Wotans ausufernder Familienentourage.
Auch wenn Wotan (Nathan Berg mit ebenso dämonisch-kraftvollem Spiel und Bassbariton) als „Wanderer“ sehr präsent bleibt, ist ihm in „Siegfried“ nicht mehr die tragenden Rolle in Benedikt von Peters angesagten Familiensage vergönnt. Hier spielt Wotans Enkel Siegfried die erste inhaltliche Geige (ein fulminantes Rollendebut von Rolf Romei in dieser schwierigen, ja monströsen Partie) – eine Figur, die im ganzen Bühnenfestpiel eigentlich eher eine, wenn auch durchaus dominante Nebenrolle spielt.
Erst die Libido lernt ihn das Fürchten
Siegfried, inzenstiös gezeuger Sohn der verstorbenen Zwillingsgeschwister Sigmund und Sieglinde, wird vom lieblosen Ziehvater, dem Zwerg Mime (eine wunderbar verletzt-böse Interpretation durch Karl-Heintz Brandt), grossgezogen. Lieblos gross- aber nicht erzogen, denn der „tumbe Tor“ kennt keine Furcht, was ihm unter anderem beim Kampf mit dem Drachen durchaus zugute kommt. Er entgeht dem Mordplan seines Ziehvaters, tötet den Drachen, der „seinen“ noch in Form des Riesen Fafner durch Brundermord eingeheimsten Goldschatz (inlusive den vermaledeiten, weil den Macht verleihenden Ring) hütet, ohne dass Siegfried weiss, was da so alles in der Drachenhöhle liegt.
Das Fürchten lernt Siegried erst, wenn er schliesslich durch den Feuerreif zur Walküre Brünnhilde (Trine Møller mit einem grandios stimmgewatigen Sopran) gelangt, die einst, um wiederum das Märchhafte zu bemühen, in einen Dornröschenschlaf versetzt wurde. Er küsst sie wach und verfällt ihr, die unwissentlich seine Tante ist, was ihm endlich das Fürchten lernt.
Auch hier nähern sich all die Geister-Puppen der mörderischen Vergangenheit – sehr nahe. Zu nahe zumal sie nun auch noch beginnen, auf das Gedschehen emotional zu reagieren.
Die stärksten Momente hat der Abend, der vom unsichtbaren Sinfonieorchester unter der Leitung von Jonathan Nott trotz der musikalischen Wucht der Vorlage subtil gespielt wurde, in Szenen, in denen die Geister fernbleiben – etwa im fesselnden Disput zwischen Wotan und Alberich (ein überzeugender Auftritt von Andrew Murphy) vor der Drachenhöhle respektive dem ersehnten Schatz.
Das ganze Bestiarium sorgt aber unter dem Strich nicht zuletzt auch dafür, dass der lange Opernabend letztlich sehr kurzweilig daherkommt. Das Publikum bedachte die Inszenierung mit einem lange anhaltenden, kräftigen Applaus.
PS: Sehr schön und für viele weitere Opernhäuser beneidenswert ist, dass das Theater Basel dieses Monsterwerk mit Ensemblemitgliedern (Romei, Brandt, Murphy und Guðmundsdóttir) so brilliant besetzen kann.
PPS: Noch immer nicht begriffen habe ich das Bühnenbild, das Walhalla als Rohbau einer mittelständigen Vorstadtvilla präsentiert (wenn ich das richtrig verstanden habe), die hier unter anderem als nicht gerade szenografisch nachvollziehbare Drachenhöhle oder als Bannungsfels für Brünnhilde oder als Atrersasyl für die Erdmutter Erda (Hanna Schwarz) herhalten muss. Aber die „Götterdämmerung“ wird am nächsten Sonntag vielleicht etwas mehr (Bühnen-)Licht in die Sache bringen.
