Von Garnelen und King Prawns in dieser Welt

Vor der Apokalypse herrscht das lustvolle Chaos: Mit dem über drei Stunden langen Monsterprojekt „Metamorphosen“ nach Ovid legte das neue Schauspiel-Team des Theater Basel einen starken Start hin.

Am Schluss, wenn sich die Menschen endlich aus ihrem göttergegebenen Chaos-Korsett befreit haben, verstrickt sich alles in eine sinnentleerte Endlosschleife. Ein stilisiertes Zimmer mit Bett, grossen Fenstern und Türen füllt sich nach und nach mit Menschen, die alle ganz für sich allein ihrem Trott nachgehen: der Mann, der sich erhängen will, das Liebespaar, das sich umarmt, die Putzfrau, die putzt und putzt und wieder von vorne beginnt – untermalt von einem melancholischen Blues der stetig präsenten fünfköpfigen Liveband.

Es ist ein wunderbares Bild, eine starke Metapher für die Isolation im Individualismus. Entlehnt haben es Regisseur Antú Romero Nunes und Bühnenbildner Matthias Koch vom legendären Animationsfilm „Tango“ von Zbigniew Rybczyński. Und ganz zum Schluss vereinigt sich das elfköpfige Ensemble zum traurigen Wal, der auf der unhörbaren 52-Hertz-Frequenz zu kommunizieren versucht und deshalb von niemand anderem gehört werden kann.

Wenn Ihr das Letztere hier auf Anhieb nicht ganz verstanden habt, dann ist das nachvollziehbar. Es gibt viele Momente in diesem über drei Stunden dauernden Abend zu „Metamorphosen“ nach Ovid, das man nicht sogleich versteht (was aber nicht weiter schlimm ist). Der römische Dichter hat in seinen Monster-Versepos so ziemlich alles verpackt, was ihm am griechisch-römischem Mythenstoff in die Finger geraten war und bis heute in der Weltliteratur ihren Widerhall fand. Der Stoff in Metamorphosen könnte ganze Spielpläne füllen, hier wurde er in einen Abend gepackt.

Man könnte auch sagen verquirlt, zuweilen oberflächlich verhuscht, aber immer wieder mit konzentrierten und abgründigen Momenten vertieft und mit überraschenden Volten in hintersinnige und zuweilen auch irr-witzigen Albernheiten mündende Satyr-Momente geführt. Etwa wenn sich der Darsteller des Tereus darüber beklagt, dass er als Vegetarier in der ihm aufgetragenen Rolle des Titus seinen Sohn als tatsächliche Fleischpastete verspeisen muss. Oder wenn sich der Über-Held Herakles beim Ausmisten der augiasstallartigen Sauerei auf der Bühne so etwas von blöde anstellt. Oder wenn der blinde Seher Teiresias und eben dieser Herakles im Gespräch vor dem Fernseher die Menschen in Garnelen und King Prawns aufteilen.

Ein Theater- und Schauspielerfest

Im Endlos-Lied „Metamorphosen“ geht es, wie der Titel besagt, um die ständige Verwandlung, um die Geschichte und um Geschichten, wie sich die Menschheit von der göttlichen Ordnung (oder eigentlich besser vom göttlichen Chaos) zu emanzipieren versucht und letztlich daran scheitert. Nunes und das Ensemble haben hierfür einen Text verfasst, der sich wild und klug, berührend und unbändig witzig sowie lustvoll zwischen Stilen und Formen hindurchmäandriert. Und die Bandleaderin Anna Bauer sowie der Komponist Johannes Hofmann haben mit eingängigen Melodien eine Reihe von Songs beigetragen, bei denen das Schauspielensemble seine hohen gesanglichen Qualitäten unter Beweis stellen kann.

Das alles verbindet sich, so chaotisch es in dieser Beschreibung auch wirken könnte, zu einem stimmigen und sehr stimmungsvollen Ganzen. Als Zuschauer gerät man in einen Sog, der einen nach einem vielleicht etwas schleppendem Beginn immer stärker packt und nicht mehr loslässt. Nach über drei Stunden stellt sich beinahe ein Bedauern ein, dass das Ganze bereits vorüber sein soll.

Mit „Metamorphosen“ gibt das neue Schauspielensemble ein grosses Versprechen ab für ein Theater, das grosse Lust macht auf mehr davon. Auf ein Theater, das ein Fest für (tolle) Schauspielerinnen und Schauspieler (und hier auch Musikerinnen und Musiker) sein will und kann. Auf ein Theater, das wunderbare Geschichten zwischen Fiktion und Realitäten erzählt und das nachdrücklich beweist, wie einzigartig und wichtig diese Kunstform gerade in Zeiten des Social distancing ist.

Das Publikum das in pandemiegerecht aufgelockerten Plätzen im Schauspielhaus Platz genommen hatte, feierte das neue Schauspielteam. Endlich wieder Theater. Und erst noch eines, das man ohne Einschränkungen weiterempfehlen kann.

„Metamorphosen“ nach Ovid im Schauspielhaus des Theater Basel.

Ein Gedanke zu “Von Garnelen und King Prawns in dieser Welt

  1. Man kann das alles, was der Kritiker ausführt genau anders oder umgekehrt sehen, was dem stimmungsvollen und letztlich stimmigen Abend keinen Abbruch tut. Endlich wieder mal „einen Abend lang im Theater“, ohne dass man die Aufführung als Theaterabend taxieren kann. Vorhang auf – Spiel – Plot & Pointe – Vorhang – Applaus(Ordnung). Und zum Schluss die Rede des neuen Theaterdirektors gehörte nicht nur dazu, sondern sie war Teil der unendlichen Metamorphose und hilfreich für den Gang zurück unter den nächtlichen Parnass. So schön kann Antike (noch) sein.

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