Theaterdirektor Benedikt von Peter setzt auf der Grosse Bühne des Theater Basel Olivier Messiens Mammutoper „Saint François d’Assise“ als postapokalyptischer Horrortrip in Szene.
Von Erleuchtung ist das wenig zu spüren: Nathan Berg als bessener Franziskus in Basel. (Foto: Theater Basel/Ingo Hoehn)
Franz von Assisi kennt ja so ziemlich jeder. Als Bettelmönch, der zu den Vögeln predigte, gehört er zu den populärsten und sympathischsten Figuren im Kanon der vielen Heiligen der katholischen Kirche. Das gilt gerade in Zeiten der Klimakrise, hat ihn Papst Johannes Paul II. doch zum Schutzpatron des Umweltschutzes und der Ökologie ernannt. Von vielen anderen Heiligen unterscheidet sich Franziskus auch, dass er keinen Märtyrertod erleiden musste, um zu seinem Sonderstatus zu kommen.
Das französische Komponist (und Hobby-Ornithologe) Olivier Messien (1908-1992), selber ein frommer Katholik, hat dieser Ausnahmefigur eine Oper gewidmet, die den Namen des Heiligen, „Saint François d’Assise“ zum Titel hat. Es ist ein geradezu monströses Projekt mit über vier Stunden Dauer, einem Orchester mit weit über hundert Musikerinnen und Musikern und einen 80-köpfigen Chor. Kein Wunder, dass das 1983 uraufgeführte Werk relativ selten auf die Spielpläne gesetzt wird – in der Schweiz war das bislang gar nicht der Fall.
Da hilt nun das Theater Basel nach, in einer auf rund dreieinhalb Stunden gekürzten Fassung und einer von Oscar Strasnoy arrangierten neuen Fassung mit einem weniger als halb so grossen, auf der Bühne präsenten Orchester und einem nicht sichtbaren Chor, die aber nach wie vor für recht wuchtige Klangbilder sorgen.
Faszinierende Rauminstallation
Theaterdirektor und Regisseur Benedikt von Peter hat beschlossen, das Werk von der religiös-katholischen Überschwänglichkeit zu befreien. Und dies auf ausgesprochen radikale Art. Ausstatter Márton Ágh hat eine hyperrealistische Rauminstallation mit dystopischer Ausstrahlung geschaffen, die weit in den Zuschauerraum hineinreicht. Zu sehen ist ein verwahrloster Parkplatz vor einem zerstörten französischen Hypermarché auf dem sich Zivilisationsmüll stapelt und über den sich von lädierten Hochspannungsmasten aus mit verkohlten schwarzen Papiervögeln besetzte Leitungen spannen.
Die Diskrepanz zur lieblichen umbrischen Landschaft, in der sich der wirkliche Franz von Assisi einst bewegte, könnte grösser nicht sein.
Dieser Raum – das Orchester und ein kleiner Teil des Publikums sind ebenfalls auf der Bühne platziert – ist auf der einen Seite der ästhetische Höhepunkt des Abends. Gleichzeitig bringt er die erzählte beziehungsweise gespielte Geschichte ganz gehörig in Schieflage. Hineingeworfen in dieses postapokalyptische Setting verliert die Hauptfigur ihre Vorgeschichte und ihre Handlungsmotivation. Zu erleben ist nicht der Bettelmönch, der sich aus eigenem Ermessen der totalen Armut und Enthaltsamkeit hingibt, sondern ein bejammernswerter Überlebender einer nicht genannten Katastrophe. Von Erleuchtung und Verzücktheit gegenüber der Natur kann keine Rede mehr sein.
Franziskus ist von Beginn weg am Boden zerstört und bleibt es bis zum Schluss. Von Peter zielt in seiner Inszenierung denn auch konzequent auf diese Abgründe. Franziskus erscheint wie ein gealteter Drogensüchtiger auf einem andauernden Horrortrip. Er erinnert so mehr an den vom Teufel mit allerlei Monstererscheinungen versuchten heiligen Antonius als an den Franziskus. Seine versehrten Ordensbrüder gebärden sich wie eine Bande von Hooligans, die besser in einen dystopischen Action-Thriller wie „Mad Max“ passen würden. Und auch dem entsetzlich verunstalteten Aussätzigen lässt von Peter die in der Geschichte implizierte Erlösung nicht zukommen. Ihm weist er nach der zwar besungenen, aber szenisch nicht vollzogenen Heilung das Schicksal des herumwandelnden Todes zu.
Tolle musikalische Leistung
Wenn im Verlauf des Abends mal die Liedzeile erkling, dass Grott auch die Hässlichkeit erschaffen habe, könnte man hier das Wörtchen „auch“ ruhig streichen. Zur vom Sinfonieorchester unter der Leitung von Clemens Heil grandios gespielten, oft stakkatohaft emotionalisierten Musik passt dieses Setting gar nicht mal schlecht. Zum Text des Librettos aber weniger. Sogar Franziskus‘ „Sonnengesang“, der grosse Lobgesang auf die Wunder der Schöpfung, wirkt wie ein verzeifeltes Wehklagen über im Horrortrip verzerrte Naturgewalten.
Bleibt eben die Musik. Was ich von meinem akustisch nicht immer idealen Platz auf der Bühne aus sagen kann: Der Bariton Nathan Berg singt sich bewundernswert klar und unangestrengt durch diese ungemein schwierige und moströse Partie. Der Engel (Álfheiður Erla Guðmundsdóttir) überzeugt mit einem schönen weichen Sopran und das Ensemblemitglied Rolf Romei (Tenor) zeigt als Leprakranker einmal mehr, was er drauf hat. Wunderbar klingt auch der Chor des Theater Basel, der für die Zuschauerinnen und Zuschauer unsichtbar vom Bühnenturm hinunter für stimmungsvolle, fast schon sphärenhafte gesangliche Kommentare sorgt.
Und eben das grandiose Bühnenbild. Es bleibt jetzt bis Mitte November stehen und wird ab Samstag auch vom Schauspiel belebt. Das Projekt heisst „Das Ende der Welt, wie wir es kennen“. Das passt schon mal vom Titel her sehr gut in dieses Setting.
Ein Gedanke zu “Ein unseliger Franziskus im postapokalyptischen Jammertal”