Adoptiert in die permanente Sichtbarkeit

Die Schauspielerin Nairi Hadodo geht in einem fulminanten Solo auf der Kleinen Bühne des Theater Basel dem Phänomen Kim Kardashian auf den Grund.

«Was sind deine Talente?», fragt sich Nairi Hadodo als Kim Kardashian. «Du kannst nicht singen, du kannst nicht tanzen, du kannst nicht schauspielern! What do yo do?»

Nun, die Darstellerin des It-Girl-Phänomens, mit dem sie die armenischen Wurzeln teilt und ihr abgesehen von der Sanduhr-Silhouette auch äusserlich sehr nahe kommt, kann das alles auf absolut überzeugende Art, wie an diesem Abend zu erleben ist.

Es ist ein fulminanter Auftritt, den das junge Ensemblemitglied auf die Kleine Bühne schmettert. Anderthalb Stunden im Dauerlauf – nein, im Spurt, muss man sagen – ein gutes Dutzend Kostümwechsel, Rap- und Tanz-Einlagen inklusive, und natürlich mit viel, sehr viel Posing und Sound ihres (Ex-)Ehemanns Kanye West.

Kim räkelt sich lasziv unter der Dusche

Aber zurück zu «Kim», so der Titel des Projekts, das Hadodo nicht nur spielt, sondern auch geschrieben und inszeniert hat. Eine Power-Frau für alles also. So wie Kim Kardashian ihr Leben über Instagram, TV-Soap und Tiktok selber inszeniert respektive als Projektion der Erwartungen ihrer 364 Millionen Follower inszenieren lässt. Als Konsumprodukt quasi, als eine Frau, die ihren perfektionierten Körper als postfeministisches Erfolgsmodul kredenzt und sich damit zur Milliardärin aufschwingt.

«Wenn ich wirklich etwas kann, dann ist es mehr sein», sagt sie, während sie im Leoparden-Kleidchen die Showtreppe hinauf- und herunterstapft. «Mein Körper spricht, mein Körper ist verantwortlich für all das», sagt sie, während sie sich lasziv unter einem Duschstrahl auf der Bühne räkelt.

Die verletzliche Seite der echten Kim

Es wäre ein Einfaches oder zumindest Einfacheres, die Insta-Ikone als rein materialistisch-oberflächliches Symbol des Untergangs der abendländischen Kultur oder des Bildungsbürgertums zu verdammen oder zumindest satirisch in den Boden zu stampfen. Doch das tut Hadodo nicht. Sie zeigt oder besser suggeriert neben den ganzen Kapriolen mit dem «kuratierten Cyborgkörper» auch die verletzliche Seite, von der man bei der echten Kim auf den Bildschirmen nichts mitbekommt. Auch diese äussern sich mit einem anschwellenden Juckreiz natürlich vor allem im Körperlichen.

Und Hadodo wehrt sich als Kim für ihre Leistung, den rasanten Aufstieg als vierfache Mutter zur «Business Bitch» geschafft zu haben. In ihrem etwas lang geratenen Schlussvortrag rechnet sie mit ihren Haterinnen, «den von Arroganz triefenden 29-jährigen weissen Single-Frauen in einem Kreativjob, die sich ihre Vulva nicht rasieren und kettenrauchen», ab.

«Euch werden nicht zehn Millionen Dollar gestohlen», schmeisst sie diesen vermeintlichen und wohl auch tatsächlich anwesenden Haterinnen im Publikum entgegen, «sondern nur ein angerostetes Fahrradschloss». Da fordere man mehr Frauen in Führungspositionen, aber eine Frau, die im Glitzerbikini Strafrecht studiere, werde abgekanzelt.

Es ist letztlich dieses Publikum, das diese packende Darstellung der Selbstdarstellerin am Schluss der Solo-Parforceleistung mit frenetischem Applaus verdientermassen feiert.

Dieser Text ist in der „bz Basel“ erschienen.

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