Besuch der alten Dramenfiguren

Kann man Dürrenmatts „Die Physiker“ heute noch aufführen? Nicht wirklich, findet das Basler Schauspielensemble – und tut es doch: als witzig hintertriebenes und doch ernsthaftes Museums-Stück.

Man könnte die Basler „Physiker“ als lebendes Pamphlet gegen das vielgescholtene Regietheater zu beschreiben versuchen – schliesslich hat doch der grosse Autor und Theatermann Friedrich Dürrenmatt höchstselbst im Programmheft zu seiner eigenen Inszenierung seiner „Physiker“ elf Jahre nach der Uraufführung geschrieben: „Will die Regie mehr sein als Interpretation, wird sie zur Exekution.“

Das Basler Schauspielensemble hat für die „Physiker“ im Schauspielhaus auf einen Regisseur oder eine Regisseurin verzichtet. Es führt sich selber als für die Inszenierung verantwortliches Kollektiv auf und hält sich stupend an den Text und (fast immer) an die im Stück angeführten Anweisungen.

Das stimmt aber nur zum Teil, denn als Geist im Hintergrund wurde Kurt Horwitz beschworen, der 1974 verstorbene Regisseur der Uraufführung von 1962 am Schauspielhaus Zürich. Denn das Ensemble hatte keine Neuinszenierung, geschweige denn eine Neuinterpretation der grotesken Abrechnung mit dem Kalten Krieg von damals im Sinn, die inhaltlich mittlerweile doch eine ziemlich dicke Staubschicht erhalten hat. Präsentiert wird vielmehr der Versuch einer Rekonstruktion der Uraufführung quasi als Museums-Stück.

Dem Ensemble standen hierfür zwar keine Filmaufzeichnungen der damaligen Aufführung, aber Fotos und vor allem das Regiehandbuch von Horwitz zur Verfügung, in dem offensichtlich alle Gänge minutiös aufgezeichnet wurden. Und das Ensemble konnte sich unter anderem mit der Verfilmung von 1964 in einige der damaligen Hauptdarstellerinnen und -darsteller einleben: vor allem in Therese Giese als die irre Irrenärztin Fräulein Doktor von Zahnd oder Gustav Knuth als Anstaltsinsasse, der sich für Isaac Newton hält (beziehungsweise ausgibt).

Famose Reinkarnation der grossen Therese Giese

Das ist vor allem der Schauspielerin Carina Braunschmidt als Therese Giese als von Zahnd vortrefflich gelungen (der Schauspielerinnen-Legende Giese hatte Dürrenmatt die Rolle auf den Leib geschrieben und es ihr schliesslich auch gewidmet). In Gestik, den Augenaufschlägen, der krächzenden Stimme und dem Sprachduktus ist sie eine treffliche Reinkarnation der grossen Schauspielerin, die sowohl deren überwältigende Bühnenpräsenz, als aber auch die Tatsache durchblicken lässt, dass die expressive, vom epischen Theater geprägte Darstellungsweise heute doch gar seltsam, das heisst ziemlich veraltet wirkt.

Das gilt letztlich für die gesamte Aufführung, die übrigens in einem schwarzweissen Nachbau des damaligen Bühnenbilds von Theo Otto spielt – eine Szenerie, die man heute wohl nur noch in Marthaler-Produktionen so antreffen würde.

Das famose Ensemble spielt den Staub bewusst mit, den das Stück bis heute und die Inszenierung von damals angesammelt hat. Es vermeidet dabei aber – abgesehen von ein paar slapstickartigen Einlagen – sich über das alte Theater, über die Produktion von damals lustig zu machen. Die Groteske bleibt Groteske, auch wenn sie als Zeitzeugnis vielleicht noch etwas grotesker daherkommt, als einst.

Am Schluss, wenn die drei Physiker trotz ihrer übergezogenen „Narrenkappen“ konsterniert zur Kenntnis nehmen müssen, dass sie den Weltuntergang nicht vermeiden konnten, wird die Basler Aufführung sogar bitterernst. Natürlich sind es nicht mehr unbedingt die wahnsinnigen Physiker oder Irren, die mit ihren Atomwaffen die Welt dem Untergang weihen. Der damalige kalte Krieg ist vorbei. Aber an Untergangsbedrohungen mangelt es uns ja nicht.

Das Premierenpublikum feierte die Aufführung, das Ensemble, das Theater nach rund zwei Stunden mit frenetischem Applaus.

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