Neues Theater auf wundersamen Abwegen

Wenn Blutegel den Ablauf diktieren und sich ein Pas de deux aus Knall und Rauch entwickelt, dann befindet man sich abseits des realen Lebens. Oder an den Basler Treibstoff-Theatertagen, die im Theater Roxy in Birsfelden mit zwei wundersam originellen Projekten ihren Auftakt genommen haben.

Beisst er an oder nicht? Die Blutegel geben den dramatischen Rahmen bei „Horror an the Healer“.

„Immer bei unserem Lieblingsteil …“, beklagt sich Denis Wagner, Kopf, Performer und Primus inter Regie-Pares der Theatertruppe Wagner-Bauer-Young. Ja, wir hätten gerne noch weiter geguckt und gestaunt, aber Hades wollte nicht mehr. Beziehungsweise war wohl satt, wenn man das von einem Blutegel sagen kann. Denn Hades ist ein echter blutsaugender Blutegel.

Aber vielleicht ist ihm (oder ihr) der martialische Auftritt der Animal-Liberation-Aktionstruppe zu viel geworden. Die Blutegel, zu Beginn waren es noch zwei gewesen, haben einiges bereits über sich oder an sich vorbei ergehen lassen müssen: den Diskurs über den therapeutischen Nutzen ihres blutverdünnenden Speichels, die Entschuldigungen, dass sie für ein diskursives Theaterprojekt ausgenützt wurden, den etwas in schwierige Gefilde entgleitenden Talk über den sexuellen Missbrauch von Tieren, die Jöööö-Kuschel-Avancen, ein kleines Hochwasser und vieles mehr.

Wagner trug (sagt man hier tragen) die Blutegel an seinem Unterarm und seinem Handrücken. Er wechselt sich, so ist zu erfahren, mit Leonie Merlin Young ab, die mit ihm in den egeligen Diskurs auf der bewässerten Bühne steigt – musikalisch begleitet von Luzius Wagner am elektronischen Sound-Desk. Aber die Blutegel sind nicht nur lebendige Requisiten, sondern ernst genommene Wesen, die den dramatischen Rahmen bestimmen. Beissen sie an, dann beginnt der Abend, fallen sie ab, endet er. Und das kann, wie eingangs erwähnt, an der schönsten Stelle des Theaterabends sein.

Das alles mag in der Beschreibung hier nach einer einer effekthascherischen Neo-Clownerie klingen. Ist es aber ganz und gar nicht. Das Setting ist schrägt, ist originell, amüsiert. Zugleich aber mündet das durch und durch professionelle Spiel des ProtagonistInnen-Trios (sorry, jetzt hab ich doch glatt die beiden Egel weggelassen) in eine kluge Ernsthaftigkeit, die einen auch nachdenklich hinterlässt.

Wagner-Bauer-Young ist eine überaus lohnenswerte Entdeckung an Treibstoff.

Schall und Rauch bei „How Not To Be Spectacular“

Bei der zweiten Produktion des Treibstoff-Auftaktabends geht es weniger, ja eigentlich gar nicht diskursiv zu. Denn gesprochen wird kein einziges Wort. Es ist vielmehr ein Pas de deux aus Schall beziehungsweise Knall und Rauch, der sich über rund anderthalb Stunden hinwegzieht.

Zu erleben ist die wundersame Begegnung zwischen einer Sprengmeisterin und einem süssen Monsterchen (Florence Ruckstuhl und Nora Schneider). Zwischen den beiden entwickelt sich über pyrotechnische Spielereien eine Romanze ohne Worte, die sich am Schluss aber in dichten Rauchwolken auflöst.

Das poetisch-sanfte Spiel der beiden Darstellerinnen mit den Knalleffekten hat durchaus seinen Reiz. Mit der Zeit droht das Spiel, das sehr einnehmend beginnt, aber etwas zu verpuffen. Zu sehr konzentriert sich das Ganze auf die pyrotechnischen Effekte, die im Verlauf der Produktion mehr und mehr abseh- und erwartbar werden und damit nicht mehr richtig zu überraschen vermögen.

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