Zum Heulen komisch, zum Lachen tragisch: Simone Stone präsentiert mit «Hotel Strindberg» am Theater Basel zusammen mit einem phantastischen Ensemble ein krudes Panoptikum gescheiterter Beziehungen.

Als Menschenfreund kann man den schwedischen Autor August Strindberg nicht bezeichnen. «Und so gehe ich wie ein Menschenfresser und Henker herum: (…) wie ein Fleischhauer töten und verkaufen», beschrieb er 1898 seine Berufung als Dramatiker in einem Brief an seine Tochter aus zweiter geschiedener Ehe. Strindberg war als Autor ein Meister des Abgründigen und als Mensch ein Borderliner, der, wie man seiner Autobiografie entnehmen kann, stets an der Grenze zum Irrsinn entlangschrammte.
Damit ist eigentlich schon viel gesagt über den Theaterabend, der den Titel «Hotel Strindberg» trägt. Simon Stone hat für die Koproduktion des Theater Basel mit dem Wiener Burgtheater aus Versatzstücken aus mehreren Dramen und der Autobiografie ein krudes Panoptikum von Liebes- und Beziehungskatastrophen zusammengestellt. Das dauert seine Zeit: Gute vier Stunden sind es in Basel. Zum Trost sei gesagt, dass es in Wien ursprünglich eine Stunde mehr gewesen sein soll. Und vor allem, dass sich, abgesehen von einigen Längen gegen Schluss, absolut lohnende Theaterstunden sind.
Auf der Bühne (Alice Babidge) ist nun dieses Hotel Strindberg zu sehen: sechs gesichtslose Mittelklass-Hotelzimmer auf drei Etagen, die rechts über ein nüchternes Treppenhaus zu erreichen sind – der Lift ist schon seit Jahren ausser Betrieb, wie der geschwätzige Hotel-Concièrge sagt. Das sind sechs Spielstätten, die mit Überblendungen reihum wechselnd in den Mittelpunkt der Handlung fokussiert werden. Das ist eine beachtenswerte Leistung nicht nur von den Theaterleuten auf der Bühne, sondern auch von denjenigen die hinter den Kulissen tätig sind: für den Inspizienten, den Licht- und Tonmeister.
Das kommt nicht gut …
So sehen wir zu Beginn auf der untersten Etage ein mittelalterliches Paar im Disput über die Erziehung ihrer Tochter – der Mann ist ein frustrierter Zyniker, während die Frau sich in eine Liaison mit ihrem weichlichen Psychiater stürzt. Darüber jammert eine jüngere Frau ihren wachsenden Frust über den nicht erscheinenden Liebhaber auf dessen Combox, während daneben eine weitere Frau versucht, von ihrem betrunkenen Ehemann die Unterschrift unter die Scheidungspapiere zu bekommen. In einem weiteren Raum sehnt sich ein zu früh aus der psychiatrischen Klinik entlassener junger Mann nach seiner lieblosen Mutter, die sich ihrerseits an ihren frischgebackenen Schwiegersohn ranmacht.
Man ahnt es sogleich: Das alles kommt nicht gut heraus – und so ist es denn auch. Strindberg und sein bearbeitender Sampler Stone sorgt dafür, dass alles die schlimmstmögliche Wendung nimmt. Das Hotel Strindberg erweist sich als Tollhaus der Lieblosigkeit, der Selbstlüge und Frustration, die schnell mal in brutale Aggression umschlägt. Das Ganze verschlingt sich im Verlauf des Abends in ein immer dichter gewobenes Geflecht, das man als Zuschauer kaum mehr zu entwirren vermag. Bis sich am Schluss herausstellt, dass dies alles eine von früheren Realitäten gespiesene Kopfgeburt des Autors ist, der in zwei Figuren unterschiedlichen Alters (Martin Wuttke und Michael Wächter – beide sind als Dichter oder Autoren zu erkennen) zentral am Geschehen beteiligt sind.
Es ist rein schon technisch eine Parforceleistung, die die neun Schauspielererinnen und Schauspieler da hinlegen und die einen als Zuschauer aus dem Staunen nicht mehr herausbringt: Im fliegenden Kleider-, Perücken- und Charakterwechsel springen sie von einer Rolle in die andere. Und wenn sie gerade nicht als Spielfiguren präsent sind, sorgen sie im Musikzimmer oben links auf verschiedenen Instrumenten für den düsteren Soundteppich, der das Ganze untermalt und der sich zum jeweiligen Höhepunkt der drei Akte zum grellen Crescendo aufschwingt.
Eindrucksvoll ist aber vor allem, wie sehr das phantastische Ensemble die ständig wechselnden Rollen verinnerlicht. Allen voran das Paar Martin Wuttke und Caroline Peters, das unter anderem in seinem zum Heulen komischen und zum Lachen tragischen Dauerdisput zu begeistern vermag – Rollen seien hier nur als Beispiele angetönt, weil diese ja ständig wechseln. Auch der Rest des Ensembles aus Basel und Wien mit Franziska Hackl (als alleingelassene Liebhaberin), Barbara Horvath (als polyamouröse Frau), Michael Wächter (als aggressiver Ehemann in Scheidung), Aenne Schwarz (als dessen Ehefrau), Simon Zagermann (als Psychiater und psychisch Kranker), Roland Koch (als Concièrge) sowie Max Rotbart (als Opfer der polyamourösen Frau) konnten sich am Schluss völlig verdient den frenetischen Schlussapplaus des Publikums stellen.
«Hotel Strindberg» ist ein zwar anstrengender, aber nicht zuletzt gerade deswegen grosser Theaterabend, der lange nachhallt. Und der unter dem Strich die etwas bittere Erkenntnis hinterlässt, dass man in Basel künftig wohl die aussergewöhnlichen Theatererlebnisse, die einem Simon Stone beschert hat, schmerzlich wird vermissen müssen.
Danke für die erhellende und enthusiastische Erörterung zur Premiere gestern. Ich war auch den ganzen Abend „da“ und habe die grosse Ensembleleistung genossen…wir immer zurzeit. No doubt. Aber inhaltlich gab es dann doch auch etliche Redundanzen bei den Dialogen, den Eruptionen und Beziehungskisten. Der Anspruch des Gesamtwerks von A.S. in einem Abend und aus einem Guss geriet zur allzu kruden Parforcetour. Und am Ende verkam die Szene in der Klappsmühle ein bisschen arg zum Schaulaufen bis hinaus zur Applausordnung. Das Spektakulum bleibt trotzdem stark, keine Frage.
Noch ein kleiner Einspruch zur orakelhaft anmutenden Erkenntnis am Ende der Rezension: könnte es nicht sein, dass wir zukünftig zwar andere und trotzdem gescheite und nich nur gescheiterte Theaterabende erleben, die uns dann alle zusammen in guter Erinnerung bleiben werden? Warum nicht? Könnte doch sein, dass es gut kommt. Einfach anders. Niggi Ullrich
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Natürlich, haben in Basel ja erlebt, dass es auch andere durchaus „können“.
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Du meintest wohl „gescheiterter“ Beziehungen
Walter
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Oh natürlich. Danke für den Hinweis.
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