Mode hat eine düstere Kehrseite, das wissen wir eigentlich alle. Doch so originell und klug präsentiert, wie bei «Sweatshop – Deadly Fashion» des Jungen Theater Basel und Schauspielhauses Zürich, lassen wir uns gerne noch einmal und überdies nachhaltig aufklären.

Nach dem Theaterbesuch wieder zuhause, schau ich mal genauer hin. Und ja, ich trage die halbe Welt an meinem Körper: Die Jeans sind Made in Tunisia, das Hemd wurde in der Türkei hergestellt, das Tweet-Jackett in England, der Mantel in Thailand (ebenso die Unterhose), das T-Shirt in China, die Socken keine Ahnung und der Pullover in Bangladesh.
Ja Bangladesh. Dort, wo 2013 beim Einsturz einer maroden Textilfabrik über ein Tausend Arbeiterinnen ums Leben kamen, dort wo unsere Wegwerfware Kleidung unter unwürdigen Bedingungen hergestellt werden.
Die norwegische Webserie «Sweatshop – Deadly Fashion» sorgte für Aufsehen: Sie begleitete drei junge Modeblogger auf einer Reise zu Textilfabriken in Südostasien, wo sie brutal auf die Welt kamen. Sebastian Nübling hat das Thema mit Texten von Güzin Kar und Lucien Haug für die Bühne umgesetzt. Die Koproduktion des Schauspielhauses Zürich und des Jungen Theaters Basel ist nun in der Kaserne Basel zu sehen.
Zeigefingertheater ohne moralinsauren Nachgeschmack
Und dies lohnt sich. Denn die Produktion schafft es, den Zeigefinger empor zu strecken, ohne moralinsauer zu wirken. Sie schafft es, aufzuklären und zugleich auf beste Art zu unterhalten. Theater als moralische Anstalt im besten Sinne.
Das liegt zum einen am berauschend Auftreten der Darsteller – allen voran das fulminante Trio der modebessenen Jugendlichen Lee-Ann Aerni, Ann Mayer und Lukas Stäuble vom Jungen Theater Basel. Auf dem Catwalk, der weit in die Zuschauertribüne hineinreicht, begeistern sie mit einer originell-spritzigen und klug gebrochenen Mischung aus bewegten Instagram-Bildern und Youtube-Influencer-Sprache – stets begleitet von Kameramann Robin Nidecker (der später noch Höchstleistungen vollbringen muss).
Beim vornehmlich jugendlichen Publikum an der besuchten Vorstellung kommt das spürbar gut an.
Dem Trio stehen drei Ensemblemitglieder des Schauspielhauses Zürich zur Seite. Sie begleiten dieses nach dem Intro auf dem Catwalk in eine geheimnisvolle surreale Welt auf der Hinterbühne. Hier hat Ausstatter Dominic Huber eine albtraumhafte Parallelwelt der Modeindustrie aufgebaut, durch die das Trio gehetzt wird.
Das Spezielle daran: Diese Welt ist von der Zuschauertribüne nicht direkt zu sehen. Sie wird mit Live-Bildern auf die geschlossene Bühnenfront projiziert. Live-Kino also oder Video-Theater, das vom Ausverkauf im Kleidershop über ein beengtes Nähatelier in Vietnam und einem typischen Teenie-Schlafzimmer bis in groteske Horrorkabinette führt. Und immer wieder taucht ein zombiehaftes kleines Mädchen auf, das auf rotzig-görenhafte Weise erschreckende Fakten über die zerstörerische und ausbeuterische Praxis der Modeindustrie hinweist.
Ganz nahe bei den Darstellern
Diese Idee mag Theaterpuristen abschrecken. Doch sie funktioniert, weil die Kamera ganz nahe an den Gesichtern und Körpern sowie an Ausstattungsdetails sein kann.
Einer der Höhepunkte ist die Begegnung mit zwei abgehalfterten Marlboro-Man-Robotern am Lagerfeuer (Matthias Neukirch und Markus Scheumann). Sie erzählen vom finalen Black Friday 2018, der die Menschheit über den Konsumwahn ins Verderben geführt hat.
Am Schluss dann öffnet sich die Bühnenfront wieder und gibt den Blick auf das enge Nähatelier frei. Mio Itschner, die zuvor per Video wiederholt als stumme ausgebeutete Näherin zu sehen war, outet sich als Adoptivkind. Und sie erzählt ganz persönlich vom Besuch bei ihrer Schwester, die als Näherin in Vietnam arbeitet. Und wir sehen uns von der surrealen wieder in die reale Welt zurückgeworfen.
Nach dem Schlussapplaus werden die Zuschauer auf die nun ganz offene Bühne gebeten. Zum persönlichen Gespräch über das Thema, zur Unterschriftensammlung für die Konzernverantwortungsinitiative, zum Kauf von einschlägigen Büchern. Und alle gehen hin.