Interfinity definiert sich als „interdisziplinäres Basler Musikfestival“. Doch Musik ist nur ein Aspekt der originären, von Lukas Loss initiierten Veranstaltungsreihe, die einen verbindenden Bogen von Musik, über Kunst zur Wissenschaft spannt. Vom 13. bis 19. Oktober findet steht eine Spezialausgabe zum Thema „Biodiversität, Nachhaltigkeit und Stadtökologie“ an.

Was hat die Wissenschaft zu Biodiversität, Nachhaltigkeit und Stadtökologie zu sagen? Wohl so einiges, handelt es sich doch um sehr präsente und brisante Themen der Stunde. Aber wie klingt Biodiversität? Wie kann Kunst Nachhaltigkeit erklären respektive umsetzen?
«Ich will zusammenbringen, was nicht wirklich zusammenpasst», erklärt Lukas Loss seine Beweggründe, die zur Passion geworden sind. Das hat er bereits 2023 erfolgreich vollbracht, als er unter dem Titel „Tinguely Entangled“ in Zusammenarbeit von Künstlerinnen und Künstlern und dem Departement Physik der Universität Basel Quantenphysik und Quantencomputing in Musik umsetzen liess. Das war so, als er 2024 in einer Gameshow Künstliche Intelligenz und menschliche Komponistinnen und Komponisten vor einer Publikumsjury in einem Musik-Duell aufeinandertreffen liess. Oder als diesen Frühling ein Tanzprojekt zu Antibiotikaresistenz auf dem Programm stand – ein „fantastischer Abend mit einem tollen Ensemble“, wie Loss rückblickend schwärmt.
Und nun folgt im Herbst das nächste Festival mit dem wortspielerischen Titel „BiodiverCity – To Bee or not to Bee“. Es handelt sich um einen ausserplanmässigen Einschub, denn turnusgemäss ist erst im Frühling 2026 die nächste Interfinity-Ausgabe programmiert: zum Thema «Exoplaneten und Kosmos».
„Ich langweilte mich etwas, also musste ich etwas auf die Beine stellen“, so Loss. Dass gut zwei Wochen vor Festivalbeginn die Geburt seines ersten Kinds zu erwarten ist, war für ihn kein Hinderungsgrund.
Arbeitstier und Perfektionist
Der 27-jährige ausgebildeter Konzertpianist Lukas Loss ist Arbeitstier und Perfektionist, der keine Scheu vor besonderen Herausforderungen zeigt, so wahnwitzig sie auch sein mögen. Vor anderthalb Jahren trug er seinen Arm in der Schlinge – er hatte beim Armdrücken mit einem Pianistenkollegen seinen Oberarm gebrochen. Ans Klavierspielen war nicht mehr zu denken. Das war aber nicht der Grund, warum er seine Karriere als Musiker abbrach, wie er sagt. „Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die besser sind als ich“, so Loss, „und es braucht Menschen, die etwas ganz Neues machen; das ist eine Aufgabe, die mir sehr viel Spass bereitet“ – so viel Spass, dass er für die Basler Art-Woche eine Plakat-Messe plant und er künftig als Host die Basler Voltahalle betreiben wird.
Die Intention des Festivalleiters ist es, den wissenschaftlichen Diskurs auf ein verständliche Ebene herunterzubrechen und mit Musik sowie Kunst auf sinnlich erlebbare Art aufzugreifen. „Ich suche das Gespräch mit Spezialistinnen und Spezialisten aus der Perspektive eines Laien heraus“, sagt der Sohn eine Physikprofessors, den er als «vortrefflichen Science Communicator» beschreibt und den er auch schon ins Geschehen eingebunden hat. Fester Bestandteil der Festival-Programme sind Apéros, bei denen das Publikum mit den Künstlerinnen und Künstlern sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ins direkte Gespräch kommen kann.
Eine Wald-Oper im Zentrum
Ausgangspunkt der nun bevorstehenden Festivalausgabe war eine Musiktheaterproduktion. Anfänglich schwebte Loss ein Musical aus der Sicht eines Insekts vor. Dann sei er auf die Oper „Like Flesh“ der israelischen Komponistin Sivan Eldar zu einem Libretto britischen Dramatikerin Cordelia Lynn gestossen. Die Kammeroper der zweimaligen Composer in Residence am Institut de recherche et coordination acoustique/musique (IRCAM) in Paris wurde 2022 an der Opéra de Lille uraufgeführt und bereits 2021 mit dem renommierten FEDORA Opera Prize ausgezeichnet.
„Like Flesh“ ist von Ovids «Metamorphosen» inspiriert, namentlich von der Geschichte der Daphne, die sich in einen Lorbeerbaum verwandelt, um den Nachstellungen Apollos zu entfliehen. Inhaltlich dreht sich die Kammeroper mit zwei Solistinnen und einem Solisten sowie einem Chor um einen von seiner Zerstörung bedrohten Wald und wie in den „Metamorphosen“ vorgegeben um eine Frau, die sich in einen Baum verwandelt und dadurch in Konflikt mit ihrem, Mann, der als Förster Bäume fällt, gerät. Die Partitur verbindet akustische Instrumente mit elektronischen Klängen, die das Erdreich hör- und spürbar werden lassen, wie Loss erklärt.
In Basel wird in der Voltahalle unter der musikalischen Leitung von Georg Köhler eine Neuinszenierung von Dominique Pitoiset und Luca Scarzella zu sehen sein. Und dem Vorsatz des Festivals gemäss wurden für die Basler Aufführungen vier wissenschaftliche Intermezzi von Spezialistinnen und Spezialisten aus den Fachgebieten Biologie, Botanik Umweltwissenschaft und Stadtökologie eingebaut.
Imker, Stadtgärtner, Zoodirektor
Um diese zentrale Produktion heraus hat sich schliesslich ein ganzes Festival entwickelt, das den Bogen weit über die Musik hinaus spannt: von Panels, Vorträgen, Stadtrundgängen und Lesungen bis hin zu einem partizipativen Ausstellungsprojekt und einem biodiversen Abendessen. Neben Musikerinnen und Musikern sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Hochschulen werden dem Inhalt entsprechend auch Umweltaktivistinnen und -aktivisten sowie Exponentinnen und Exponenten des praktischen Umgangs mit der Natur wie Köche, ein Imker, der Leiter der Basler Stadtgärtnerei, dem Basler Zoodirektor eine Kreislauf-Architektin Einblicke in ihre Themen- und Arbeitsgebiete vermitteln.
Eröffnet wird das Festival am 13. Oktober mit Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“ in einer Version für zwei Pianos – ein Werk, mit dem der Komponist laut eigener Aussage «die leuchtende Auferstehung der Natur» schildern wollte. Darauf folgt im inhaltlichen Umkehrschluss ein Schlagzeugensemble-Projekt des Perkussions-Tausendsassas Fritz Hauser mit dem vielsagenden Titel «Vier Wege in die Stille», was doch eher an den Niedergang oder die Auflösung von Biodiversität hindeutet.
In dieselbe Richtung hin zielt auch die partizipative Ausstellung „After The Deluge“ des ehemaligen Basler Theaterdirektors, Dokumentarfilmers und Ausstellungsmachers Michael Schindhelm. Das Projekt will, ausgehend von der Hypothese einer von der grossen Klimakatastrohe heimgesuchten Welt, Szenarien eines neuen, quasi postapokalyptischen Daseins entwickeln. Und das mit Hilfe des Publikums, das die Ausstellung mit mitgebrachten Pflanzen, Objekten sowie nichtmateriellen Beiträgen – das können laut Loss Gedichte Lieder bis hin zu Basler Fasnachtsmärsche sein – erst zum Leben erwecken wird.
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„BiodiverCity – To Bee or not to Bee„ – ein Festival zum Thermenspektrum Biodiversität, Nachhaltigkeit und Stadtökologie. Vom 13. bis 19. Oktober an verschiedenen Spielstätten und Aussenstationen in Basel.
Dieser Artikel erschien in der Septemberausgabe von „Musik und Theater“.
