Der Wolf steppt und deklamiert

Die belgische Regisseurin Lies Pauwels versucht sich an einer Dramatisierung von Hermann Hesses sperrigem Roman „Der Steppenwolf“. Auf der Schauspielhausbühne agiert wacker ein herausragendes Schauspieler-Ensemble, das es aber letztlich nicht schafft, aus einer deklamatorischen Endlosschlaufe heraus einen wirklich berührenden Theaterabend zu schaffen.

Die Bühne ist ein Ballsaal mit Séparées, wie man sie in einem Bordell antreffen könnte. Kenner der hundert Jahre alten Romanvorlage finden sich im Magischen Theater wieder, wohin der weibliche den männlichen Alter Ego von Autor Hermann Hesse, also Hermine den Steppenwolf Harry Haller, hingelockt hat. Dort, nahe der Hölle, wo er mit Humor einen Ausweg aus seiner zerstörerischen Suizid-Sehnsucht finden soll, wo das bürgerliche und das wölfische Ich zum Einklang kommen sollen. Und wo sich Goethe und Mozart gute Nacht sagen.

So in etwa. Ich weiss nun nicht, wie es Zuschauerinnen und Zuschauern ergangen ist, die den (etwas wirren) Roman nicht mehr so in Erinnerung behalten oder ihn gar nicht gelesen haben. Sie alle werden wie die Eingeweihteren aufgefordert, Ihre Persönlichkeit an der Garderobe abzugeben. Wofür es aber zu spät sein dürfte, weil man ja bereits im Zuschauerraum sitzt. Und man sich vier Männern und einer Männerin gegenübersieht, die wohl Facetten von Harry Hallers gespaltener Persönlichkeit darstellen.

Einer davon (Sven Schelker) löst sich von der Gruppe, tritt ans Mikrofon an der Rampe und beginnt zu deklamieren. Ein Stück Text aus dem „Steppenwolf“. Das wiederholt sich in wechselnder Besetzung. Auf Schelker folgen, untermalt von sphärischer bis dampfender Musik, Jan Bluthardt, Andrea Bettini und Fabian Dämmich, während die Frau im Quintett, Miriam Joya Strübel, vorerst stumm bleibt.

Einnehmender Beginn

Deklamiert wird viel an diesem zweistündigen Abend. Das fängt einnehmend und vielversprechend an – zumal man sich einem wunderbar aufspielenden Schauspieler-Quintett (und zwei im Programmheft nicht genannten Statistinnen) gegenübersieht. Man kriegt mit, wie sich der Steppenwolf mit dem Humor sehr schwer tut, ja daran scheitert. Jan Bluthardt legt hier eine fulminante Unglücks- und Fall-Nummer hin, die als Clownnummer im Zirkus vielleicht lustig sein könnte, hier aber nur Bedauern über die schmerzhaften Kapriolen auslöst. Gänzlich jämmerlich wird das Geschehen, wenn die vier Männer, assistiert von der Frau als Charlie Chaplin, mit grotesken Clownmasken über die Bühne hampeln.

Schwemme von Mozartkugeln

So geht es weiter. Am Mikrofon wird deklamiert, während die Bühne unter anderem mit Mozartkugeln quasi überschwemmt wird. Ja. Die Regisseurin versteht sich bestens auf die Präsentation spektakulärer Bilder. Einmal lässt sie die vier Haller in langen Unterhosen und Melonen im wölfischen Kluft von Kubriks dystopischen Streifen „A Clockwork Orange“ auftreten. Ein anderes mal als britische Klischee-Business-Men mit Schirm, Charme und (wiederum) Melone.

Den Verstand kostete der Eintritt nicht. Aber viel Geduld. (Foto: Ingo Höhn)

Aber noch immer warten wir nach vielen langen Minuten gespannt auf den erlösenden Bruch in die dramatische Spielebene, die der Roman in dieser Phase durchaus hätte. Mit Ausnahme eines sehr spät erfolgenden, wiederum rein deklamatorischen Auftritts der geheimnisvoll-verführerischen Hermine findet dieser nicht statt. Für den ernüchternden Schluss im Roman hat die Inszenierung nur den irrwitzigen Drogenrausch übrig, der alle Hallers in roraroten Tüllkleidern auf der Bühne herumwälzen lässt, während die einzige, zuvor sehr marginal in die Inszenierung eingefügte Frau, eine männliche Onanie-Nummer abzieht.

PS: Ich hab den Text von Hermann Hesse noch einmal gelesen und muss konstatieren: Er ist schlecht gealtert.

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