Tragödie oder Groteske, das ist die Frage

Regisseur Antù Romero Nunes begeht das Sakrileg, die über alles erhabene Tragödie „Hamlet“ von Shakespeare in die Groteske schwappen zu lassen – und geht dabei zusammen mit dem Autor Lucien Haug und dem Ensemble als Sieger hervor.

„Sind denn alle irr geworden in dieser Welt“, heisst es einmal. Dass im Programmheft zum Basler „Hamlet“ eine ausführliche Inhaltsangabe abgedruckt ist, lässt erahnen, dass die Inszenierung einiges durcheinandergebracht wird. Und so ist es denn auch.

Aber auch im Originaltext ist so vieles nicht mehr so, wie es sein sollte oder einmal war: Der König von Dänemark ist tot, sein Bruder Claudius, ein schleimig-autokratischer Populist, hat flugs die Königin zur Frau genommen und den Thron bestiegen, nachdem er den König ermordet hatte. Hamlet, von seinem Studienort Wittenberg nach Elsingör zurückgekehrt, ist nur noch ein Häufchen Elend. Und am Schluss liegen mit Ausnahme von Hamlets Freund Horatio alle tot auf dem weiten leeren Bühnenboden (Bühne: Matthias Koch).

Soweit folgt die Basler Aufführung des berühmtesten aller Klassiker der Geschichte Shakespeares. Doch Regisseur Antù Romero Nunes und der Übersetzer respektive Überschreiber Lucien Haug drehen noch einiges mehr auf den Kopf. So hat er Hamlet (und weitere Protagonistinnen und Protagonisten) mit konträren Geschlechtern besetzt. Dass Hamlet von einer zierlichen Frau (Gala Othero Winter) gespielt wird, ist aber alles andere als neu: Vor 25 Jahren hatte Stefan Bachmann bei der Eröffnung des Schauspielhaus-Neubaus in Basel eine Frau (Katharina Schmalenberg) als Dänenprinz aufspielen lassen. Und bereits vor weit über hundert Jahren hatte die legendäre Sarah Bernhard die Titelrolle übernommen. Nunes hat hier nun aber auch Horatio mit einer Frau (Antoinette Ullrich) Königin Gertrud mit einem Mann (Thomas Niehaus) besetzt. Aber auch das dürfte, ohne dass ich es nachweisen kann, nicht zum ersten Mal geschehen sein.

Hamlet neu gedichtet

Es wird noch einiges mehr durcheinandergewirbelt. Das fängt bei der Neudichtung an. Haug hat in seiner Textfassung wörtliche Übersetzungen im Versmass mit saloppen Sequenzen zeitgenössischer Alltagssprache und Anspielungen auf die gegenwärtige Weltlage versetzt. Und er lässt die Schauspielerinnen und Schauspieler auch mal aus der Rolle treten, wie dies der Dramatiker Heiner Müller es einst in seiner „Hamletmaschine“ getan hat. Das von Shakespeare vorgegebene Stück im Stück – Hamlet lässt den Mord an seinem Vater von einer Schauspieltruppe nachspielen – bietet die Gelegenheit dazu. Ein lausiges Theaterstück sei das, beklagt sich Gala Othero Winter, wobei unklar bleibt, ob sie dies nun als Hamlet oder Schauspielerin sagt.

Regisseur Nunes setzt noch einiges drauf. So lässt er die Schauspieltruppe eine irrwitzige irisch anmutende Tanzparodie aufführen sowie König und König beim gemeinsamen Frühstück pantomimisch Kühlschrank, Toaster und Kaffeemaschine nachspielen. Den Geist von Hamlets Vater (ebenfalls von Thomas Niehaus gespielt) lässt er einmal als Commedia dell’Arte, ein anderes Mal als Clown und schliesslich als autoritär-rüpelhaften Erzeuger im Holzfäller-Look auftreten, der seinen jammervoll überforderten Sohn nach Strich und Faden zusammenstaucht.

Irrwitziges Satyrspiel

Dass der Geist gleich mehrmals erscheint, deutet auf einen weiteren Kniff der Inszenierung hin. „Die Zeit ist aus den Gelenken“, heisst es bei Shakespeare, was hier wörtlich genommen wird: So wird die Zeitlinie durchbrochen, die Handlung mehrmals zurückgespult – und damit ins Groteske gedreht. Nunes scheint sich dabei an Karl Marx‘ Deutung von Hegels Bemerkung, dass sich alle grossen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich zweimal ereignen – nur halt „das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce“, orientiert zu haben. Es ist ja wahrlich nicht weit hergeholt, wenn man hinter den grossen Tragödien der Zeit auch das oder die Groteske sieht.

So wird aus der erhabenen Tragödie ein irrwitziges Satyrspiel, das verblüfft, dem Publikum mit dem Strudel der überbordenden Ereignissen auch einiges abverlangt, aber über die ganze Spieldauer von rund drei Stunden packend bleibt. Regisseur Nunes, Autor Haug, das grandios aufspielende und überdies auch musizierende Ensemble (das mit Ausnahme von Hamlet und Horatio zwischen mehreren Rollen hin- und herspringen muss) und nicht zuletzt die Kostümbildnerinnen Lena Schön und Helen Stein sorgen für ein überaus unterhaltsames Theaterfest, das trotz den zwischenzeitlich chaotischen Albernheiten, trotz zuweilen etwas gar schrillen Ecken und Kanten den Ernst einer Welt, die aus den Fugen gerät, nicht unter sich begräbt.

Gala Othero Winter fesselt als kindlich-trotziger Hamlet, der in seiner Hilfslosigkeit zu Tobsuchtanfällen hinreissen lässt. Fabian Dämmich gibt als König Claudius eine Art Trump-Karikatur, obwohl diese Figur eigentlich gar keinen Platz zur Überhöhung mehr lässt. Thomas Niehaus lässt einem unter anderem als Übermutter Gertrud ein Schaudern durch den Körper fahren. Antoinette Ullrich als Horatio, Elmira Bahrami unter anderem als Ophelia, Julian Anatol Schneider unter anderem als Laertes und Kay Kysela Polonius und mehr halten als weniger oder gar nicht überzeichnete Figuren wacker mit.

Das Premierenpublikum quittierte den Abend mit starkem Applaus. Völlig zurecht.


„Aufmunterungspreis 2025“ für Antoinette Ullrich

Antoinette Ullrich als Horatio in der aktuellen „Hamlet“-Inszeniertung.

Die Basler Schauspielerin Antoinette Ullrich, Mitglied der Compagnie am Theater Basel, wird mit dem „Aufmunterungspreis 2025“ der Armin Ziegler-Stiftung ausgezeichnet. Die Stiftung vergibt ihre Preise jährlich an junge Theaterschaffende, die durch besonderes Talent und Engagement auffallen und deren weitere künstlerische Arbeit gefördert werden soll. Er richtet sich dabei speziell an vielversprechende Nachwuchskünstlerinnen und Künstler.

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