«Musik macht 60 Prozent des Filmerlebnisses aus»

Am zweiten Basel Film Music Festival wird «Schellen-Ursli» live vertont. Ein Gespräch mit dem Schweizer Filmregisseur Xavier Koller.

Von den Kinolautsprechern in den Konzertsaal: Zehn Jahre nach dem erfolgreichen Kinostart ist die Musik zum Film «Schellen-Ursli»  in einer Live-Version zu erleben. Im Rahmen des zweitägigen Basel Film Music Festivals, an dem auch die Swiss Gospel Singers auftreten, wird das 21st Century Orchestra den Film unter der Leitung von Ludwig Wicki im Musiksaal des Stadtcasino Basel begleiten. Anwesend sein werden der Komponist Martin Tillman, Darstellerinnen und Darsteller des Films sowie Regisseur und Oscar-Preisträger Xavier Koller.

Herr Koller, welche Rolle spielt Musik im Film?

Xavier Koller: Musik ist sehr wichtig, Musik und Ton machen gut 60 Prozent des Filmerlebnisses aus. Über das Auge dauert es länger, um das Geschehen zu verarbeiten, während die ­Musik direkt ins Zentrum der Emotionen stösst.

Ganze 60 Prozent?

Musik sorgt für die Atmosphäre, die einen direkt berührt. Bilder und Dialoge müssen erst einmal verarbeitet und interpretiert werden.

Vom Entstehungsprozess her gesehen ist Musik aber das letzte Glied beim Filme­machen.

Was Sie ansprechen, hat rein praktische Gründe. Die Musik wird erst mit dem Schnitt konkret Teil des Films, ausser es handelt sich um ein Musical, oder Stücke werden im Film live gespielt oder gesungen. Aber das heisst nicht, dass sie erst dann entsteht. Als Regisseur spreche ich mit dem Komponisten von Beginn weg über die Intention, die Atmosphäre, den Stil des Films – auch wenn man das bei der Vorbereitung noch nicht alles ganz so genau wissen kann. Die Musik wird also früh in den Prozess eingebunden.

Wie sehr nehmen Sie als Regisseur Einfluss auf die Komposition?

Nur sehr bedingt, indem ich vorgebe, was ich nicht will. Nachdem ich mich nach intensiven Gesprächen für jemanden entschieden habe, vertraue ich dieser Person und lasse mich von den ersten Entwürfen über­raschen. So tastet man sich an die gesamte Komposition heran. Ich persönlich rate den Komponisten, sich vom Thema und Klima des Films inspirieren zu lassen, nicht vom Schnitt. Gemeinsam mit dem Komponisten, der Cutterin oder dem Cutter entscheide ich beim Schnitt, wie und wo die Musik eingesetzt wird. Bei «Schellen-Ursli» wurde die Musik von einem Sinfonieorchester in Prag eingespielt, während wir um 4 Uhr morgens in Martin Tillmans Studio in Santa Monica live zugeschaltet waren.

Martin Tillman hat als Cellist und Komponist in erster Linie für Action- und Abenteuerfilme wie «Mission: Impossible» oder «Batman» gearbeitet. Wie passt das zu einem Kinderfilm, der die schöne Schweizer Bergwelt zelebriert?

Die Wahl ist rein zufällig entstanden. Nach dem Dreh von «Schellen-Ursli» war ich über die Feiertage zu Hause in Pacific Palisades in Los Angeles. An dem Abend, als mir Balz Bachmann aus Zeitgründen absagen musste, waren Martin Tillman und seine Frau bei uns zum Dinner eingela­den. Als ich dies beim Essen beiläufig erzählte, anerbot sich Martin Tillman spontan, die Musik zu komponieren. Ich war vollkommen überrascht! Schon nach wenigen Tagen schickte er mir die ersten Entwürfe, die der Cutter Gion Reto Killias in ­Zürich sofort probeweise in bestimmte Sequenzen einschnitt. Wir waren beide sehr begeistert: Martin hatte den Ton getroffen.

Spielte es eine Rolle, dass es in «Schellen-Ursli» auch viele Action-Momente gibt?

Nein, absolut nicht. Die Action kreierte ich im Drehbuch. Ich musste einiges dazuerfinden, um den Film kinotauglich zu machen, denn in Selina Chönz’ Geschichte, die Alois Carigiet wunderbar bebilderte, ist die Handlung doch sehr mager.

Wenn man sich auf die Musik konzentriert und die Augen schliesst, könnte man sich auch in einem Hollywood-Action-Film wähnen. Haben Sie bewusst auf Alphörner und sonstige Schweizer Berg-Folklore verzichtet?

Ja, ich wollte keine musikalische Hommage an die Schweizer Berge. Letztlich ist der Film die «Coming-of-Age-Geschichte» eines Jungen, der seinen Weg gegen alle Widerstände beschreitet, der keine Ängste hat. Das war es, was mich an dieser Geschichte faszinierte.

Auf das Schweizerische haben Sie bei der Musik aber nicht ganz verzichtet und den Bündner Liedermacher Linard Bardill mit dem Titelsong auf Mundart betraut. Da ist von den schönen Bergen die Rede.

Am Schluss musste ein Titelsong für den Abspann her, den die Kinder als Ohrwurm mit nach Hause nehmen und nachsingen können. Der Bündner Linard Bardill war für mich der ideale Mann dafür.

Beim Film Music Festival Basel wird die Musik nun live gespielt. Ist das ein besonderer Moment für Sie?

Vor etwa zwei Jahren wurde die Musik erstmals in Chur live gespielt. Das war eine wunderbare Erfahrung für mich, als hätte ich den Film zum ersten Mal gesehen. Kurz danach hätte er so hier in Basel beim Music Film Festival gezeigt werden sollen, doch diese Vorstellung musste leider aus finanziellen Gründen abgesagt werden. Das holen wir jetzt dank Alex Stroms unermüdlichem Einsatz nach. Und ich freue mich auf die Wiederbegegnung mit den Kinder-Darstellerinnen und -Darstellern des Films, die mittlerweile erwachsen sind.

«Schellen-Ursli» ist Ihr bislang letzter Film. Sind Sie in Pension gegangen als Filmemacher?

Vom Alter her schon, aber sonst nicht. Leider ist eben einem Projekt der Stecker gezogen worden. Das kenne ich aus den USA, aber ich arbeite weiter.

Das Interview erschien in der „bzBasel“.

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