„Es war einmal“: Auch in Stephen Sondheims Musical „Into the Woods“ beginnt es mit diesen Worten, wie es bei Märchen immer der Fall ist. Nur dass bei diesem im Theater Basel aufgeführten fetzigen Farytail-Potpurri die Schluss-Sequenz mit dem „langen und glücklichen Leben“ ausbleibt.

„Ito the Woods“. In diesem Märchenwald ist was los. Und wie! Rotkäppchen trifft auf den unglücklich kinderlosen Bäcker, der auf ihren blutroten Umhang aus ist – und natürlich auf den gefährlichen, aber auch verführerischen Wolf. Aschenputtel stolpert auf der Flucht vor dem Prinzen gleich mehrmals vor die Füsse der Bäckerin, die ihre Schuhe klauen möchte. Hans verkauft seine geliebte und nutzlose milchweisse Kuh und gelangt mit den als Entgeld erhalteten Zauberbohnen ins Himmelreich der reichen Riesen. Rapunzel lässt sich eine Haarsträhne entreissen. Und die Hexe wütet allenthalben herum.
Warum das mit der Haarsträhne? Der Kuh? Rotkäppchens Umhang und Aschenputtels goldenen Schuh? Die Hexe beauftragt das kinderlose Bäcker-Paar damit, diese Sachen zu einzusammeln, um damit ihren Fluch zu lösen. Als Belohnung verspricht sie, dem Paar ein Kind zu schenken. Das gelingt schliesslich alles: Hans kann mit dem Gold der Riesen seine Kuh zurückkaufen, Rotkäppchen kriegt eine hippe Lederjacke aus Wolfsleder, Aschenputtel ihren Prinzen (ebenso Rapunzel), die Bäckersleute ein Kind und die hässliche Hexe ihr menschliches Anlitz wieder.
Es geht um Wünsche, die alle erfüllt werden. Alles schön und gut – ein glückliches Ende bis ans Ende der Tage? Oh nein. Nach der Pause bricht alles zusammen, geliebte Familienmitglieder müssen sterben, Aschenputtels Prinz entpuppt sich als sexbesessener Macho und eine Riesin droht, alles zu Brei zu treten.
Happy End hintertrieben
Stephen Sondheim und sein Storyschreiber James Lapine hatten in den 1980er-Jahren die Unverfrohrenheit, mit „Into the Woods“ nicht nur eine ganze Reihe weltbekannter Märchen parodistisch durcheiander zu wirbeln und gewissen Figuren, wie dem im Grimm’schen Original brav-naiven Rotkäppchen libidinöse Regungen einzupflanzen, sondern auch noch das Happy End zu hintertreiben. Und auch die Musik kommt bar jeglicher märchenhafter Empathie daher, sondern treibt das Geschehen mit fetzigen und leitmotivartig jazzartigen Akkorden voran.
Das alles sorgt unter dem Strich für einen höchst vergnüglichen Abend jenseits der oftmals schwülstigen Musical-Seichtheit. Bei Regisseur Martin G. Berger und dem Musikalischen Leiter des lustvoll aufspielenden Sinfonieorchesters Basel, Thomas Wise, ist die Basler Aufführung in guten Händen. Sarah Katharina Karl hat mit einem halbtransparen Art Spiegelkabinett und Videoeinspielungen auf der stetig rotierenden Drehbühne einen abstrakten Zauberwald geschaffen, welcher dem überbordenden Handlungsstrang sehr entgegenkommt. Ja diesen überhaupt erst szenisch möglich macht. Denn „Into the Woods“, also in diesen Wäldern geht es (mit Ausnahme des etwas ausgedehnten Schluss) nicht nur Schlag auf Schlag zu und her, die Szenen und Begegnungen überschneiden sich stets, gehen ineinander über. Und auch die Märchenfiguren wandeln sich von den Grimm-Stereotypen in Menschen von heute.
Grandios bühnenpräsentes Ensemble
Dass dies klappt, ist dem eingespielten und grandios bühnenpräsenten Ensemble zu verdanken, das auch die schwierigen textlastigen englischen Gesangapartien auf packende Art meistert. Meisterlich die Auftritte der Hexe. Delia Mayer schafft den stimmlichen und spielerischen Spagat zwischen düsterem Sprechgesang und melodiösen Gesangspartien, zwischen bös und lieb, leichtfüssig. Sie gehört wie der Erzähler Stefan Kurt, der auch den mysteriösen Vater des Bäckers gibt, zur Stammcrew von Berger, die das Basler Publikum bereits für sich einnehmen konnte. Kurt schafft es, eine ungeheure Bühnenpräsenz aufzubauen, ohne zu chargieren.
Das gilt auch für den Rest der Darstellerinnen und Darsteller, dies sich aus Basler Ensemblemitgliedern und Gästen zusammensetzt. Sie alle aufzuzählen, würde den Rahmen dieser Besprechung sprengen. Erwähnen will ich aber dennoch Vanessa Heinz, die unter dem Rotkäppchen-Umhang das Coming out of Age-Wesen einer Punk-Göre verbirgt. Oder Jan Rekeszus als ebenso lüsterner Prinz wie verführerischen Wolf. Oder das fast durchwegs präsente Bäcker-Paar Alen Hodzovic und Julia Klotz. Aber jetzt Schluss mit der Aufzählung.
„Into the Woods“ dauert mit Pause über drei Stunden. Das ist etwas lang. Aber diese lohnen sich überaus. Hingehen!
